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Stolpersteine Konstanz

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Bella STERN, geb. Dreifuss, 1885 - 1942 (?)

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JG. 1885

DEPORTIERT 1942

TRANSIT-GHETTO IZBICA

ERMORDET

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Obere LAUBE 73
heute (2022)

Bild: Maik Schluroff

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Stolperstein für Bella STERN
verlegt am 17. November 2022

 

 

Bella Stern wurde als Bella Dreifuss am 9. September 1885 in Altdorf bei Ettenheim in Baden geboren. Ihre Eltern waren Jesaias Dreifuss und Marie, geb. Model. Im Holocaust verlor sie ihre drei Schwestern und ihre Mutter.

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Bella STERN (rote Markierung)
bei einem Ausflug des Konstanzer Synagogenchors
auf den Feldberg / Schwarzwald, 1919

Obere Reihe von links nach rechts:
Hugo Schatz, Ludwig Ottenheimer, Therese Adler, Klara Ottenheimer, Julius Lion, H. Gerstle, Alice Dreyfuß, Gerstle, Betty Levi-Weil, Michael Lion, Ilse Simon, Hilde Lion, Heinrich Schatz, Margaret(h)e Spiegel, Henny Lion, Erika Wieler, Frau Gassert, Herr Gassert, Rosa Schwarz, Sigmund Schwarz.

Vordere Reihe von links:
Adolf Gerstle, Gitta Weil, Fanny Picard, Berthold Stern, Moritz Bloch, Martha Haberer, Josef Weil, Jakob Bravmann, Else Schatz, Rosa Salomon, Bella STERN, Lucie Burger, Wilhelm Picard, Simon Alexander, Salo (Sally) Halpern.

Vordere Reihe sitzend:
Ida Schatz, Frau Dreyfuß, Flora Bravmann, Frieda Lion, Oscar Picard, Trudel Schatz

Bild: Erich Bloch: Geschichte der Juden von Konstanz, S. 85

 

Als Bella Dreifuss geboren wurde, gab es in Altdorf ein florierendes jüdisches Leben. Etwa 25 % der Bevölkerung waren Juden. Ihren Lebenserwerb verdienten die jüdischen Familien hauptsächlich mit dem Viehhandel und als Textilwaren- und Branntweinhändler.

1908 heiratete Bella Dreifuss den Textilkaufmann Berthold Stern (27.8.1877 - 13.11.1935) aus Heppenheim / Bergstraße. Nach der Hochzeit lebte das Ehepaar Stern in Lörrach. Ihre Tochter Else wurde am 20. September 1909 in Lörrach geboren. 1916 übersiedelte die Familie Stern nach Konstanz und wohnte in der Tägermoosstraße 16. Berthold Stern war Mitinhaber der Textilfirma Guido Freund in Konstanz.

Ihre Tochter Else heiratete am 18. September 1929 in Konstanz den aus Freiburg stammenden Kaufmann Berthold Weil (geb. 19.7.1899). Das Ehepaar Weil betrieb eine Hanf- und Drahtseilerei in Freiburg. Beide wurden im am 22. Oktober 1940 nach Gurs deportiert und 1942 in Auschwitz ermordet. Zwei Stolpersteine in Freiburg erinnern an ihr Schicksal. Ihre Tochter Thekla hat wahrscheinlich den Holocaust überlebt, da sie nicht in den Opferlisten des jüdischen Dokumen­tationszentrums Yad Vashem aufscheint.

Das Ehepaar Stern war gut in die jüdische Gemeinde von Konstanz integriert, war es doch Mitglied im Syna­gogen­chor, dem etwa 40 Frauen und Männer angehörten.

Berthold Stern übernahm 1927 nach dem Tod seines Schwagers Guido Freund (1870-1927) dessen Firma „Guido Freund & Comp.“, ein Herren- und Damenkleidergeschäft in der Rosgartenstraße. Guido Freund war mit Maria, einer Schwester von Berthold Stern verheiratet. Zur Firma „Guido Freund & Comp.“ gehörte noch eine Filiale in Radolfzell. Nach dem Tod ihres Mannes Berthold Stern im November 1935 führte seine Frau die Firma selbständig weiter.

Ende September 1938 musste Bella Stern ihre repräsentative Wohnung in der Oberen Laube 73 aufgeben. Bemerkenswert ist, dass dies noch vor Verabschiedung des „Gesetzes über Mietverhältnisse mit Juden“ von Ende April 1939 geschah, das den Mieterschutz für Juden aufhob. Wahrscheinlich konnte sie die Miete für ihre Wohnung nicht mehr bezahlen, weil ihr Geschäft entweder „arisiert“ worden war oder durch den Boykott jüdischer Geschäfte sie keine Einnahmen mehr hatte. Das städtische Wohnungsamt wies ihr ein Zimmer in der Bodanstraße 22 (seit 1933 Saarlandstraße) in einem sogenannten Judenhaus zu. Judenhäuser waren im Nazi-Jargon Häuser, die Juden gehörten und nur von Juden bewohnt werden durften. Neben vielen anderen Schikanen trug diese „Entjudung von Wohnraum“ wesentlich zur weiteren Ausgrenzung der jüdischen Mitbürger bei.

Gemäß dem „Gesetz über die Änderung von Familiennamen und Vornamen“ von August 1938 musste Bella Stern im Januar 1939 den zusätzlichen Vornamen „Sara“ annehmen; analog dazu mussten die jüdischen Männer „Israel“ als Vornamen führen.

 

In den Morgenstunden des 22. Oktober 1940 wurden 112 in Konstanz lebende Juden, darunter auch jene, die hier zu Besuch weilten, von der Gestapo aus ihren Wohnungen geholt und zum Güterbahnhof Petershausen gebracht. Von dort wurden sie in einem alten Personenzug nach Gurs deportiert. Warum der Name Bella Stern nicht auf der Deportationsliste stand, ist unklar. Vielleicht war sie verreist, befand sich im Krankenhaus oder konnte ein amtsärztliches Transportunfähigkeitszeugnis nachweisen. Ihre jüdische Freundin und Mitbewohnerin Emma Löb aus Stuttgart, die seit Ende August 1940 bei ihr wohnte, stand allerdings auf der Liste und wurde deportiert.

Nachdem die jüdischen Bewohner der Bodanstraße 22 nach Gurs deportiert worden und „arische“ Mieter einzogen waren, wurde Bella Stern Ende September 1941 eine Unterkunft im jüdischen Gemeindehaus in der Sigismundstraße 21 zugewiesen. Zeitweilig wohnte auch ihre Mutter Marie Dreifuss hier. Sie fand im Juni 1943 im Ghetto Theresienstadt den Tod.

Im März 1942 bereitete die Gestapo Stuttgart die Deportation der noch in Baden lebenden Juden in den Osten vor. In dem Schreiben an die Polizeidienststellen und Landräte heißt es: „Die in der letzten Zeit in einzelnen Gebieten durchgeführte Übersiedlung von Juden nach dem Osten stellt den Beginn der Endlösung der Judenfrage im Altreich, der Ostmark und im Protektorat Böhmen und Mähren dar.“ Das Dokument trägt den handschriftlichen Vermerk: „Abgeschoben nach dem Osten.“

 

In Konstanz gab es im April 1942 noch acht Juden, die nicht in "Mischehen" lebten und somit nicht vor der Deportation geschützt waren. Sie waren zwangsweise im jüdischen Gemeindehaus in der Sigismundstraße 21 untergebracht. Am Morgen des 24. April 1942 wurden Bella Stern und die anderen Bewohner des Hauses von der Gestapo abgeholt. Unter polizeilicher Bewachung wurden sie mit der Bahn über Karlsruhe nach Stuttgart gebracht. Als Reisegepäck war erlaubt: Koffer oder Rucksack bis 50 kg, Kissen und 1-2 Wolldecken, Mundvorrat für mindestens 2 Tage, Essgeschirr mit Löffel, aber kein Messer, Kennkarte und Arbeits­zeugnisse sowie 50 Reichsmark.

In Stuttgart wurden die Deportierten notdürftig auf dem Killesberg untergebracht. Den 2,5 km langen Weg vom Killesberg zum Nordbahnhof mussten die Deportierten zu Fuß gehen. Am 26. April 1942 verließ ein Zug der Deutschen Reichsbahn mit der Bezeichnung „Da 56“ den Bahnhof Richtung Izbica. Der Transport umfasste 441 Juden und Jüdinnen, darunter 74 aus Baden einschließlich der sieben aus Konstanz. Auf der Transportliste war unter der Nummer 63 der Name Bella Stern verzeichnet. Die Zugfahrt ging südlich an Berlin vorbei, über Posen, Warschau und Lublin nach Izbica. In Lublin fand eine Selektion statt, d.h. die Arbeitsfähigen wurden „aussortiert“. Am 29. April 1942 erreichte der Zug in Izbica.

Izbica war kein Konzentrationslager, sondern ein Transit-Ghetto. Izbica war ein kleines, überwiegend von Juden bewohntes Städtchen etwa 55 Kilometer südöstlich von Lublin. Zwischen März und Juni 1942 wurden fast 80.000 Juden aus dem Deutschen Reich und anderen europäischen Ländern nach Izbica und in die umliegenden Orte deportiert. In Izbica wurden die Juden in leerstehende Häuser einquartiert, die geflüchteten Polen oder ermordeten Juden gehörten. Die meisten dieser Häuser waren ausgeplündert und hatten kein fließendes Wasser. Ein Judenrat half den deutschen Behörden bei der Verwaltung dieses Elends, aber auch bei der Aufstellung von Transportlisten in die benachbarten Vernichtungslager Sobibόr, Majdanek und Belzec. Izbica war auch das Ziel von mehreren Transporten mit Juden aus dem Ghetto Theresienstadt, die dann von hier in die Todeslager weitergeleitet wurden. Aber auch in Izbica selbst wurden von den Nazis Tausende Juden bei Mordaktionen ermordet.

 

Es ist nicht bekannt, ob Bella Stern auf dem Transport nach Izbica, in Izbica bei einer der zahlreichen Mordaktionen der Nazis, oder in einem der umliegenden Vernichtungslager ums Leben kam. Unstrittig ist, dass Bella Stern am 26. April 1942, als sich der Zug von Stuttgart nach Izbica in Bewegung setzte, noch lebte.

 

Danach gibt es kein Lebenszeichen mehr von ihr.

 

Recherche: Uwe Brügmann

Patenschaft: Petra Quintini

Quellen:

Stadtarchiv Konstanz

Hauptstaatsarchiv Stuttgart

Stadtarchiv Ettenheim

Stadtarchiv Radolfzell

Staatsarchiv Freiburg, Akte Marie Dreifuss F 166/3 Nr. 3308

ancestry.com

geni.com

 

Literatur:

Hänschen, Steffen: Das Transitghetto Izbica im System des Holocaust. Berlin: Metropol Verl. 2018

Erich Bloch: Geschichte der Juden von Konstanz. Konstanz: Rosgarten Verl. 1971