geb. 1920, Wollmatingen / Konstanz
VERHAFTET 4.10.1939 „RUNDFUNKVERBRECHEN“ GEFÄNGNIS KONSTANZ ENTLASSEN 21.11.1940
Gest. 2015, Konstanz |
Bärlappweg 7 heute (2010) |
Stolperstein für Maria OBERGFELL |
Vater: Ferdinand OBERGFELL
Maria Obergfell
Maria Obergfell wurde am 12. September 1920 in Wollmatingen geboren. Wollmatingen war damals noch eine selbständige Gemeinde und wurde am 1. August 1934 nach Konstanz eingemeindet.
Das persönliche Umfeld von Maria Obergfell wurde stark von den politischen und sozialen Ideen der Arbeiterbewegung bestimmt. Ihr Vater Ferdinand Obergfell war mehrere Jahre für die KPD im Wollmatinger Gemeinderat. Im Oktober 1935 wurde er wegen kommunistischer Äußerungen festgenommen und zu acht Monaten Gefängnis verurteilt.
Mit Franz Greis, der im August 1938 aus Angst vor seiner Verhaftung in die Schweiz flüchtete und von Zürich aus den illegalen Schmuggel von kommunistischen Broschüren nach Konstanz mitorganisierte, hatte sie zeitweilig ein Liebesverhältnis. Als Mitglied im Wollmatinger Arbeiterturn- und Sportverein hatte sie auch private Kontakte zu Kommunisten und Sozialdemokraten.
Maria Obergfell hatte zwei Brüder: Klaus, geb. 1931, und Peter, geb. 1937. Die Familie lebte in ärmlichen Verhältnissen. Ihr Vater war seit 1928 wegen eines Herzleidens arbeitsunfähig und bezog eine geringe Invalidenrente. Ihre Mutter Maria, geb. Müller, war Näherin in der Seidenspinnerei Schwarzenbach.
Maria Obergfell besuchte acht Jahre lang die Volksschule in Wollmatingen und danach zwei Jahre eine Frauenarbeitsschule in Konstanz. Ab 1936 arbeitete sie in der Konstanzer Textilfabrik Straehl, wo sie Wehrmachtsmäntel nähte. Seit 1936 gehörte sie, wie alle Arbeitnehmer nach der zwangsweisen Auflösung der Gewerkschaften, der Deutschen Arbeitsfront (DAF) an.
Am 4. Oktober 1939 wurden Maria und ihr Vater Ferdinand Obergfell von der Gestapo verhaftet. Bis Ende November wurden noch neun weitere Wollmatinger Männer und Frauen verhaftet, die der KPD oder SPD nahestanden, darunter Alois Zollner, Anna Hermann und Johann Okle.
Am 20. März 1940 fand vor dem Oberlandesgericht Stuttgart unter dem Vorsitz des „Blutrichters“ Hermann Cuhorst, der Prozess statt. Cuhorst war Fördermitglied der SS, fanatischer Anti-Kommunist und für Dutzende von Todesurteilen verantwortlich, darunter auch für das erste in Konstanz gefällte Todesurteil, an dem Arbeiter Leo Bohnenstengel. *) Das Gericht warf Maria Obergfell vor, in der Zeit vom 7. bis zum 20. September 1939 viermal in der Wohnung von Alois Zollner, der wenige Häuser entfernt wohnte, den Schweizer Sender Radio Beromünster gehört und damit gegen die „Verordnung über außerordentliche Rundfunkmaßnahmen“ vom 1. September 1939 verstoßen zu haben. Der Schweizer Landessender war eine wichtige unabhängige Informationsquelle im Zweiten Weltkrieg, der in Konstanz gut empfangen werden konnte und auch viel gehört wurde. Das Gericht billigte Maria Obergfell zu, dass sie aus „Neugierde und Unüberlegtheit“ gehandelt habe, und zum Zeitpunkt der Verurteilung noch minderjährig, also noch keine 21 Jahre alt war. Eine „bewusst staatsfeindliche Gesinnung“ konnte ihr das Gericht nicht nachweisen. Trotzdem wurde Maria Obergfell zu sechs Monaten Gefängnis verurteil, wobei die Untersuchungshaft von fünf Monaten auf die Strafe angerechnet wurde. |
Die relativ hohe Strafe war einerseits als Abschreckung gedacht; andererseits ist nicht ganz von der Hand zu weisen, dass sie auch für ihre Weigerung bestraft wurde, ihren Geliebten Franz Greis, der im Sommer 1938 in die Schweiz geflüchtet war, an die Gestapo zu verraten.
Den anderen Angeklagten wurde neben dem Abhören von „Feindsendern“ noch illegaler Schmuggel mit kommunistischen Broschüren vorgeworfen. Ihr Vater Ferdinand Obergfell erhielt eine Zuchthausstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten, die er in Brandenburg-Görden verbüßte. Der Mitangeklagte Johann Okle wurden zu zwei Jahren und sechs Monaten, Otto Greis und Alois Zollner zu je achtzehn Monaten und Anna Hermann zu acht Monaten Zuchthaus verurteilt.
Nach der Urteilsverkündung wurde Maria Obergfell aus der Haft entlassen. Sie arbeitete wieder bei der Firma Straehl. Wegen ihrer Verurteilung erhielt sie einen strengen Verweis der Gauverwaltung Baden der Deutschen Arbeitsfront. Wahrscheinlich führte dieser Verweis dazu, dass Maria Obergfell die Reststrafe von einem Monat im Gefängnis Ende des Jahres 1940 im Gefängnis Freiburg absitzen musste.
"Strenger Verweis" für Maria OBERGFELL, vom 28.11.1940 durch die "Deutsche Arbeitsfront" wegen
In der Zeit ihrer Inhaftierung litt die Familie Obergfell große Not, weil Vater und Tochter im Gefängnis waren und nichts zum Lebensunterhalt der Familie beitragen konnten. Der Lohn der Mutter, die in der Textilfirma Schwarzenbach als ungelernte Näherin arbeitete, reichte kaum zum Leben für sie und ihre beiden minderjährigen Söhne. Nach ihrer Freilassung arbeitete Maria Obergfell wieder in der Textilfirma Straehl.
Maria Obergfell war 7 Monate und 18 Tage in Haft.
Nach dem Krieg fand sie eine besser bezahlte Stelle als Näherin in Kreuzlingen. Sie konnte daher Lebensmittel aus der Schweiz nach Konstanz mitbringen. Bei Hamsterfahrten im Hegau und Linzgau konnte sie dann z.B. die geschätzten Schweizer Blauband-Brissagos (Virginia-Zigarillos) bei Bauern gegen Lebensmittel eintauschen.
Nach dem Bankrott der Kreuzlinger Textilfirma wechselte sie zu Telefunken in Konstanz. Der Tod ihres Vaters Ferdinand Obergfell 1946 nach den Entbehrungen im Lager Brandenburg-Görden traf sie schwer, stand sie ihm doch menschlich und politisch sehr nahe. 1947 heiratete sie Peter Götschl. Sein Bruder Josef wurde 1941 im KZ Sachsenhausen ermordet, sein anderer Bruder Emil fand den Tod auf Seiten der Republikaner im Spanischen Bürgerkrieg. Die Ehe von Maria und Peter Götschl blieb kinderlos. 1997 feierte das Paar Goldene Hochzeit. Noch im selben Jahr starb ihr Mann.
Der jungen Bundesrepublik stand Maria Götschl skeptisch bis misstrauisch gegenüber. Kein Wunder, denn in vielen Ämtern und Behörden saßen nach 1945 noch die alten Nazi-Seilschaften. Bei den Wahlen zum Konstanzer Gemeinderat am 15. November 1953 kandidierte sie neben Alois Zollner auf der Liste 5 für die KPD, wurde aber nicht gewählt. Viele Jahre war sie Sekretärin der Konstanzer Ortsgruppe der VVN (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes). Später beteiligte sie sich an Demonstrationen gegen die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik. Auch an den Ostermärschen nahm sie teil. Die Besorgnis vor dem aufkommenden Rechtsradikalismus begleitete ihr ganzes Leben. Noch in hohem Alter träumte sie von einer gerechteren Welt.
Maria Götschl starb hochbetagt am 7. August 2015 in Konstanz. Ihr Grab befindet sich auf dem Wollmatinger Friedhof.
Recherche: Uwe Brügmann Patenschaft: Peter Obergfell |
Quellen: Privater Nachlass von Maria Götschl im Besitz von ihrem Bruder Peter Obergfell aus Konstanz-Wollmatingen.
*) Die Anklage gegen Leo Bohnenstengel gründete allein auf der Denunziation eines Soldaten über mündliche Äußerungen von Leo Bohnenstengl. Für das unter dem Vorsitz von Cuhorst tagende Gericht war für das Todesurteil entscheidend " ... dass der Arbeiter trotz wiederholter KZ-Haft ein „fanatischer und verbissener Kommunist“ geblieben sei, „der dem nationalsozialistischen Staat und der deutschen Volksgemeinschaft in unversöhnlicher Feindschaft gegenübersteht“. Sabine Bade, "Auch in Konstanz: Todesurteile während der NS-Zeit", (Abruf 25.7.2020), sowie Dr. Sabrina Müller, Leseprobe Momente 4/2017 (Abruf 17.05.2022) |