geb. 14.8.1883, Konstanz Deportiert 1940 Gurs Interniert: Rivesaltes Tot: 22.2.1942 |
Lutherplatz 3 Foto: © Wolfram Mikuteit |
Stolperstein für Rudolf NEUBURGER |
Schwester: Thekla MEINRATH
Rudolf NEUBURGER, undatiert Rudolf Neuburger wurde am 14. August 1883 als Sohn von Ludwig Neuburger und Julia Picard in Konstanz geboren und wuchs im väterlichen Haus am Bodanplatz 4 mit seinem Bruder Moritz und der jüngeren Schwester Thekla auf.
Sein Vater, der 1846 in Gailingen geboren wurde, war 1861 als junger Mann nach Amerika gegangen, statt sich wie sein Vater(1) im Viehhandel zu betätigen. In New York arbeitete er sich von einer einfachen Aushilfsposition bis zum erfolgreichen Geschäftsmann hoch und kehrte erst 32jährig, 1875, als erfolgreicher Tuchhändler nach Deutschland zurück und ließ sich in Konstanz nieder. Hier heiratete er 1875 die aus Wangen stammende Julie Picard. In Konstanz hat Ludwig Neuburger zunächst eine Tuchhandlung eröffnet, änderte jedoch später sein Metier und wurde nach dem Erwerb einer Privatbank erfolgreicher Bankier. Mit Julie Picard hatte er drei Kinder: Moritz, Rudolf und Thekla. In einer sehr viel später, 1920, angelegten Krankenakte, erfährt man, dass der kleine Rudolf spät, erst mit anderthalb Jahren, laufen lernte, häufige Wutausbrüche und Atemprobleme hatte, weshalb er im Kindesalter des Öfteren an der Nase operiert werden musste, was am Ende des 19. Jahrhunderts kein banaler Eingriff war. Der kleine Rudolf lernte nur mit Schwierigkeiten, auch wiederholte er ein Schuljahr. Nach der Volksschule besuchte er das Realgymnasium bis zum Ende der sechsten Klasse (vollendetes 10. Schuljahr) und schließlich eine Handelsschule in Genf. Nach 2jähriger Ausbildung in der Konstanzer Bank des Vaters ging der sprachbegabte junge Mann für einige Zeit nach London, Mailand und schließlich um 1907 nach Berlin auf eine Handelsfachschule. Er interessierte sich für die Theosophie, wurde als stark religiös beschrieben und lebte zeitweise als Vegetarier. Etwa mit 24 Jahren, um 1907 während seines Aufenthalts in Berlin, klagte er erstmals über psychische Probleme, die schließlich so stark wurden, dass er seinen erlernten Beruf aufgab. Kurze Besserung erlebte er in Locarno, wo er in einer Gärtnerei tätig war. Zwischen 1907 und 1912 nahm er unterschiedliche Stellen in landwirtschaftlichen und Gärtnerbetrieben an, unter anderem auch in Konstanz und St. Gallen. Sein Zustand verschlechterte sich in dieser Zeit jedoch, er hatte keinerlei Ausdauer und seine Anstellungen wurden immer wieder durch kürzere Aufenthalte in unterschiedlichen Sanatorien in der Schweiz unterbrochen. So hatte er kurze Aufenthalte in den Sanatorien Utwil, Erlenbach und Zürich, Chevio, Bosco und Gland am Genfer See, hier hielt er sich mehrere Monate im Sanatorium Leman auf. Sanatorium du Lemand in Gland/CH Quelle: http://swiss.nailizakon.com/g/gland/vue-du-sanatorium.html
1912 wurde er für einen mehrjährigen Aufenthalt in die Israelitische Heil- und Pflegeanstalt für Nerven- und Gemütskranke in Sayn bei Koblenz aufgenommen. In diesem Sanatorium war er 8 Jahre, bis 1920, Patient.(2) Jacobysche Anstalt in Sayn bei Koblenz, um 1900 Quelle: https://www.bendorf.de/stadt-buerger/geschichte/jacoby-sche-anstalt/
Auf eigenen Wunsch, wegen starken Heimwehs und unterstützt durch seine Angehörigen, insbesondere durch Thekla, bat er um Überführung in die Großherzoglich Badische Heil- und Pflegeanstalt bei Konstanz. Am 17. Juni 1921 wurde er durch einen Vetter, Dr. Mayer aus Freiburg, in Sayn abgeholt. Dr. Mayer und Thekla brachten Rudolf am 18. Juni 1920 zur Aufnahme in die Heil- und Pflegeanstalt bei Konstanz.(3) |
Schwester Thekla ermöglichte ihm zwischen den Aufenthalten in den Heilanstalten immer wieder mehrjährige Aufenthalte in Konstanz, ihr Haus am Lutherplatz wurde auch sein Zuhause. Immer wieder holte sie ihn für kürzere und längere Aufenthalte nach Hause und ließ ihn von der Pflegeanstalt beurlauben. So erfolgt eine erste Entlassung Rudolfs am 2. April 1921. Fast vier Jahre lebte er nun im Haus seiner Schwester Thekla, konnte zeitweise sogar kaufmännisch arbeiten und half auch im Haus aus.
Theklas Mann, der Kinderarzt Dr. Gustav Meinrath, war bereits 1918 an den Folgen einer Weltkriegsverletzung gestorben. In jedem Fall war Rudolfs Befinden zuhause sehr viel besser, als es in den Anstalten gewesen war. Er hatte neben zunehmender Geräuschempfindlichkeit und nervösen Beschwerden auch Probleme in der Mobilität. Nach einer erneuten und stetigen Verschlechterung suchte Thekla am 13. Januar 1925 mit Rudolf den Spezialisten Dr. Binswanger(4) in der Einrichtung Bellevue in Kreuzlingen auf. Bellevue war damals eine moderne psychiatrische Privatklinik, die von Dr. Binswanger geleitet wurde. Während eines etwa zweiwöchigen Aufenthalts dort sollte Rudolf mit Hilfe der Psychoanalyse behandelt werden. Nach einer ersten Besserung, die jedoch nicht anhielt, vereinbarten Dr. Binswanger und Rudolf Neuburger eine erneute Aufnahme in die Heil- und Pflegeanstalt bei Konstanz. Der Aufnahmeantrag in die Heilanstalt wurde jeweils von Thekla Meinrath beantragt, die auch die Anstaltskosten übernahm. Bei der erneuten Aufnahme am 23. Februar 1925 schrieb Rudolf Neuburger in auffällig regelmäßiger und schöner Handschrift einen sehr klaren, detaillierten Lebenslauf. Auch während des nun folgenden etwa 5jährigen Aufenthalts sorgte Thekla dafür, dass er regelmäßig auch für längere Perioden nach Hause an den Lutherplatz kam. In den Unterlagen finden sich zahlreiche Urlaubsgesuche von der Pflegeanstalt, die Thekla Meinrath beantragte, bis seitens der Anstaltsleitung Beschwerden kamen, dass so häufiger Urlaub nicht vorgesehen und möglich sei.(5)
Rudolf NEUBURGER, 1930er Jahre Im März 1929 wurde daher für Rudolf Neuburger die Entlassung aus der Anstalt auf den 22. Februar 1929 rückdatiert. In den 1930er Jahren kam er schließlich in das Friedrichsheim nach Gailingen.
Nach ihrer Emigration vermochte sich Thekla nicht mehr um den Bruder zu kümmern. Über die Zeit zwischen 1933 und 1940 in Gailingen ist nichts bekannt. Am 22. Oktober 1940 wurde Rudolf Neuburger zusammen mit weiteren 177 jüdischen Bürgern aus Gailingen in das südfranzösische Internierungslager nach deportiert. Vermutlich wurde er im Frühjahr 1941 von dort in das Lager Rivesaltes überstellt.
Rudolf Neuburger starb am 22. Februar 1942, im Alter von 58 Jahren, im Lager in Südfrankreich. Er wurde auf dem kommunalen Friedhof von Rivesaltes beerdigt.
2016 wurde Rudolf Neuburger auf dem Friedhof des Kibbuz HaShita in Israel, wo seine Schwester Thekla ab 1933 lebte, eine Gedenktafel gewidmet. Gedenktafel für Rudolf NEUBURGER,
Recherche: Schüler und Schülerinnen der Hegau-Bodensee-Seminargruppe „Spurensuche“: Jessica Böhme, Franziska Eble, Paul Ellsiepen, Linus Kulman, Tim Kuppel, Gaia Quintini, Jasmin Ye mit Petra Quintini und Manuel Boxler Patenschaft: Birgit Arnold |
Fussnoten: (1) Der Vater von Ludwig Neuburger, Rudolfs Großvater, war Moses Josef Neuburger (geb. 10.10.1799 in Gailingen und dort am 13.11.1873 gestorben). Ludwigs ältere Schwester Fanny Neuburger (geb. am 21.9.1837 in Gailingen, gest. 1913) heiratete Wolf Levinger . Drei ihrer Kinder, Salomon, Emanuel und Simon, gingen als junge Männer nach 1890 nach Konstanz, wo sie auch heirateten. Siehe auch Biografien von Emanuel Levinger und Simon Levinger. (2) Laut Patientenakte der Israelitischen Heil- und Pflegeanstalt zu Sayn bei Coblenz war Rudolf Neuburger vom 12.7.1912 bis zum 17.6.1920 dort. (3) Aus dem Aufnahmeblatt der Großherzoglich Badischen Heil- und Pflegeanstalt bei Konstanz auch die Information, dass die Eltern der Mutter Julie Neuburger, geb. Picard, wohl nahe verwandt gewesen seien, und ein Bruder von Julie mit einem Wasserkopf (Hydrocephalus) zur Welt kam und 21jährig starb. (4) Ludwig Binswanger (geb. 1881 in Kreuzlingen, dort gestorben 1966) war ein Schweizer Psychiater und Psychoanalytiker, der bei C. G. Jung promoviert hatte und sich intensiv mit Sigmund Freud auseinandersetzte, mit dem ihn eine lebenslange Freundschaft verband. Er trat 1907 als Assistenzarzt der Anstalt seines Vaters, Bellevue, bei und übernahm diese nach dem plötzlichen Tod des Vaters 1910 vollständig. (5) In einer Mitteilung vom 9. März 1929 findet sich folgende Bemerkung: „Nach den bestehenden Bestimmungen sind Beurlaubungen in dieser Form und diesem Ausmaß nicht möglich. Wir stellen Ihnen anheim, es einmal mit einer Entlassung zu versuchen.“
Quellen: Staatsarchiv Freiburg, Dokumente der Heil- und Pflegeanstalt Konstanz (Krankenakten), Findnummer B 822/1 Nr. 2971 Informationen zur Jacobyschen Anstalt in Bendorf-Sayn: http://www.bendorf.de/stadt-buerger/geschichte/jacobysche-anstalt/ (abgerufen am 9.2.2016) Aufnahme der Grabsteine von Julie und Rudolf Neuburger (Foto Privatarchiv D. M.) Familienfotos, Privatarchiv der Familie (D. M.)
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