1883: Geb. Zürich 1934: Flucht Schweiz 1939: USA
|
Marktstätte 19 |
Stolperstein für Hedwig LEIB |
Ehemann: Ivan LEIB; Töchter: Hanna LEIB, Ida LEIB, Sohn: Otto S. LEIB; Schwager: Friedrich LEIB
Hedwig LEIB, ca. 1930
Hedwig Leib wurde am 1. Dezember 1883 als Hedwig Bloch in Zürich geboren. Ihr Vater war Kaufmann. Am 19. Oktober 1908 heiratete sie den Konstanzer Kaufmann Ivan Leib in Zürich. Das Ehepaar Leib hatte drei Kinder: Otto Siegfried, geb. am 05.08.1909 in Kreuzlingen, Ida, geb. am 14.02.1912 in Konstanz, und Hanna, geb. am 08.11.1916 in Konstanz.
Hedwig Leib interessierte sich schon früh für die Anthroposophie. Bereits 1913 wurde sie Mitglied der Anthroposophischen Gesellschaft, die damals ihren Sitz in Berlin hatte. Maßgeblich war sie an der Gründung der anthroposophischen „Parcivalgruppe“ in Kreuzlingen im Mai 1914 beteiligt. Erste Vorsitzende war die Rudolf-Steiner-Schülerin Freiin Harriet von Vacano-Köhler, zweite Vorsitzende war Hedwig Leib. Ihr Schwager Friedrich Leib, ein kunstsinniger Mensch, der 1940 von den Nazis in Grafeneck ermordet wurde, war ebenfalls Gründungsmitglied. Hedwig Leib erzog daher ihre drei Kinder nicht im jüdischen Glauben, sondern freireligiös bzw. anthroposophisch. In der Geburtsurkunde ihrer Tochter Ida heißt es bei der Angabe der Religion nicht „israelitisch“, sondern "freireligiös“. Ida und Hanna bekannten sich später offen zur Anthroposophie, Otto wurde ein Freigeist „ohne religiöses Bedürfnis“. |
Am 22. Mai 1924 wurde Hedwig Leib in die Freie Hochschule für Geisteswissenschaft in Dornach als Hörerin aufgenommen. In ihrer Wohnung an der Marktstätte gab sie auch selbst Kurse über Anthroposophie. Judentum und Anthroposophie waren für Hedwig Leib keine Gegensätze. Rudolf Steiner, der Begründer der Anthroposophie, den sie in Zürich persönlich kennengelernt hatte, hatte stets die positive Bedeutung des Judentums für die europäische Kultur betont und den Antisemitismus als „Kulturkrankheit“ bezeichnet.
Mit der Machtübernahme der Nazis 1933 radikalisierte sich der Antisemitismus in Konstanz – wie überall im Reich. Der reichsweite Boykott jüdischer Geschäfte am 1. April 1933 betraf auch Konstanz und veranlasste das Ehepaar Leib, am 3. April 1934 nach Kreuzlingen auf der Schweizer Seite zu übersiedeln. In Kreuzlingen verkaufte ihr Mann das Haus an der Marktstätte an Schweizer Staatsbürger und von hier betrieb Ivan Leib auch die Emigration in die USA.
Ihr Sohn Otto war bereits am 1. Juni 1933 nach Palästina emigriert, ihre beiden Töchter Hanna und Ida sollten 1936 bzw. 1938 nach England bzw. in die USA emigrieren. Anfang Januar 1939 verließen Ivan und Hedwig Leib Kreuzlingen und fuhren nach Southampton/England. Dort bestiegen sie am 7. Januar die „SS Aquitania“. Am 3. Februar 1939 kamen sie in New York an. Am 13. Oktober 1941 wurde beiden von den Nazis die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt; am 18. Dezember 1944 erhielten sie die amerikanische Staatsbürgerschaft. Den Erlös aus dem Verkauf ihres Hauses in Konstanz legte Ivan Leib Gewinn bringend auf dem amerikanischen Kapitalmarkt an. So konnte das Ehepaar Leib sorgenfrei in New York leben. Ivan Leib wurde dabei kenntnisreich von seinem Schwiegersohn Kurt Julius Spiegel unterstützt, dem Mann ihrer Tochter Ida. „Sie hatten viele Jahre lang ein gutes Leben als Rentner“, so beschreibt ihr Sohn Daniel Leib, der Sohn ihres Sohnes Otto, den Lebensabend seiner Großeltern.
Ihre alte Heimat hat Hedwig Leib nicht wiedergesehen. Sie starb am 27. August 1965 in New York. Sie ließ sich einäschern und verfügte testamentarisch, dass ihre Urne nach Dornach, dem Zentrum der Anthroposophie, überführt und im Gedenkhain des Goetheanums bestattet werde. Dort ruht ihre Urne in der Nähe der Urne von Rudolf Steiner, dem Begründer der Anthroposophie.
Recherche: Uwe Brügmann Patenschaft: Alexander Stiegeler |
Quellen: Archiv des Goetheanums Dornach Stadtarchiv Konstanz Staatsarchiv Freiburg Persönliche Mitteilungen ihres Enkels Daniel Leib, USA |