Geb. 1905 Michelbach, Kreis Lahr
VERHAFTET 1938 „VORBEREITUNG HOCHVERRAT“ GEFÄNGNIS LUDWIGSBURG ENTLASSEN MÄRZ 1941
Gest. 2002, Riedheim |
Ecke Bücklestraße/Austraße Früher Hindenburgstraße 52 |
Stolperstein für Josef ANSELM
Der Stolperstein wurde nicht vor dem Haus (s. Bild) verlegt, sondern auf dem Gehweg davor. Erläuterung siehe weiter unten: HIER |
Josef ANSELM, Foto ca. 2000
Josef Anselm wurde am 5. Dezember 1905 in Michelbach, Kreis Lahr, geboren, heute ein Ortsteil von Gaggenau. Sein Vater, Wilhelm Anselm, war Landwirt; seine Mutter hieß Therese, eine geb. Detscher.
Nach dem Besuch der Volksschule in Michelbach war Josef Anselm einige Jahre auf dem Bauernhof seiner Eltern tätig. Von 1921 bis 1924 machte er eine Schreinerlehre in Bühl. 1926 kam Josef Anselm nach Konstanz und bezog eine Wohnung in der Wessenbergstraße. Von 1929 bis zu seiner Verhaftung 1938 arbeitete er als Schreiner in der Möbelfabrik Jonasch & Cie im benachbarten schweizerischen Kreuzlingen. Er wohnte aber weiterhin in Konstanz, war also Grenzgänger.
1932 heiratete er Luise Oswald, gebürtig aus Riedheim bei Singen. Aus der Ehe gingen zwei Kinder hervor, Herbert, geb. 1933, und Ruth, geb. 1936. Wie er selbst wurde sein Sohn nach dem Zweiten Weltkrieg Schreiner. Anselm war Mitglied in mehreren sozialdemokratisch orientierten Vereinen wie dem Arbeiter-Radfahrer Verein, dem Arbeiter-Gesangsverein und dem Arbeiter-Samariterbund; nicht gesichert ist, ob er auch Mitglied der SPD war. Seit dem 1. Mai 1938 war er Mitglied der „Deutschen Arbeitsfront“ (DAF), der NS-Einheitsgewerkschaft, der jeder Arbeiter und Unternehmer angehören musste. Neben Josef Anselm arbeiteten in der Möbelfabrik Jonasch in Kreuzlingen noch drei weitere deutsche Schreiner, Karl Durst, Andreas Fleig und Bruno W. Schlegel. Diese Schreiner verband nicht nur ihr Beruf, sondern sie waren auch überzeugte Gewerkschafter bzw. Sozialdemokraten, die nach der gewaltsamen Auflösung von SPD und Gewerkschaften im Jahre 1933 dem NS-Regime in Deutschland feindlich gegenüberstanden. Mit im Bunde war noch der Schweizer Metallarbeiter Ernst Bärtschi, ein Nachbar von Andreas Fleig in Kreuzlingen.
Diese vier Männer schmuggelten politische Broschüren, die in St. Gallen gedruckt wurden, über Kreuzlingen nach Konstanz. In St. Gallen gab es eine aktive sozialdemokratische Emigrantengruppe, die von Anton Döring, der vor 1933 Sekretär des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes (ADGB) in Frankfurt war, geführt wurde. Bärtschi und seine Gesinnungsgenossen verhalfen aber auch politischen Flüchtlingen über die rettende Grenze in die Schweiz. Zur Gruppe dieser Antifaschisten gehörte in Konstanz noch Pauline Gutjahr, die den Weiterversand der Broschüren innerhalb Deutschlands koordinierte; sie kümmerte sich auch fürsorglich um Flüchtlinge, die illegal in die Schweiz wollten. |
Am 8. Mai 1938 wurde Josef Anselm in Konstanz verhaftet. Was war geschehen? An diesem Tag, einem Sonntag, sollten Andreas Fleig und Ernst Bärtschi den von den Nazis verhafteten und angeblich wieder freigelassenen Gewerkschaftsfunktionär Hans Lutz aus Offenbach am Konstanzer Bahnhof treffen und illegal über die Grenze in die Schweiz bringen. Hans Lutz war aber während des Verhörs zusammengebrochen und hatte seine Kontaktpersonen in Konstanz und Kreuzlingen verraten. Die Gestapo hatte nun leichtes Spiel, Josef Anselm und Ernst Bärtschi festzunehmen, weil Ernst Bärtschi unschwer an seinem Schweizer Militärrad zu erkennen war. Noch am gleichen Tag wurden auch Karl Durst und Bruno Schlegel festgenommen. Wenige Tage später wurde auch Pauline Gutjahr in ihrer Konstanzer Wohnung verhaftet.
Josef Anselm wurde in das Konstanzer Gefängnis eingeliefert. Der Haftbefehl datierte vom 13. Mai 1938. Vom Gerichtsgefängnis Konstanz kam er in das Zuchthaus in Ludwigsburg. Am 17. April 1939 wurde er zusammen mit den beiden Mitangeklagten Pauline Gutjahr und Bruno Schlegel vom Stuttgarter Oberlandesgericht wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ angeklagt. Die drei Angeklagten hätten versucht, „in Konstanz/Baden und Kreuzlingen/Schweiz für die illegale SPD…mit Gewalt oder Drohung…die Verfassung des Reiches zu ändern… und durch Verbreitung von Schriften die Massen zu beeinflussen.“ Im Einzelnen wurde Josef Anselm vorgeworfen, dass er zwischen 1933 und 1938 jährlich mindestens 10 Briefe verschickt habe, die genaue Anweisungen und Informationsmaterial für Funktionäre der verbotenen SPD in Deutschland enthalten haben; außerdem sei er in „erheblichem Maße Gesinnungsfreunden beim Grenzübertritt nach der Schweiz behilflich“ gewesen. Konkret nannte die Anklage die Namen von Paul Nusch, Georg Bender und Paul Müller auf, alle Gewerkschafter aus dem Großraum Frankfurt, denen tatsächlich die Flucht in die Schweiz gelungen war.
Josef Anselm wurde zu drei Jahren Zuchthaus und Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte und der Wehrtauglichkeit verurteilt. Seine Strafe verbüßte er im Zuchthaus Ludwigsburg, wo hauptsächlich politische Gefangene inhaftiert waren; hier saßen auch Andreas Fleig und Ernst Bärtschi ihre mehrjährigen Haftstrafen ab.
Am 14. März 1941 wurde Josef Anselm entlassen; damit endete seine Haftzeit von zwei Jahren und zehn Monaten. Der Rest der Strafe wurde ihm auf Bewährung bis zum 1. April 1944 erlassen. Am 3. Dezember 1942 wurden ihm die bürgerlichen Ehrenrechte und Wehrtauglichkeit wieder zuerkannt. Am 15. Januar 1943 wurde er zur Wehrmacht eingezogen und war anschließend in Frankreich stationiert. Hier geriet er in Kriegsgefangenschaft und war bis zum 11. September 1947 in einem amerikanischen Kriegsgefangenenlager in Nimes im Süden Frankreichs interniert.
Nach der Rückkehr aus der Gefangenschaft zog Anselm wieder nach Konstanz und arbeitete weiterhin in seinem Beruf als Schreiner bei der Firma Jonasch in Kreuzlingen. Die Firma ging 2001 in Konkurs. Nach seiner Pensionierung zog er im Februar 1955 nach Riedheim/Hilzingen, wo das Ehepaar seit 1939 ein Haus besaß.
Josef Anselm starb am 8. Juni 2002 in Hilzingen. Josef ANSELM, Todesanzeige 2002
Recherche: Uwe Brügmann Patenschaft: Alexander Stiegeler |
Quellen: Staatsarchiv Freiburg, Entschädigungsakte F 196/1,712 und Entnazifizierungsakte D 180/2, 221, 090 Staatsarchiv Ludwigsburg: E 356 d V Bü 2463-2464 Bundesarchiv Berlin: R 3017 / 796, Bd. 1 Stadtarchiv Gaggenau |
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Das Haus Hindenburgstr. 52 gibt es nicht mehr. Auch die Hindenburgstrasse gibt es hier nicht mehr. Der Stolperstein für Josef ANSELM wurde nicht vor dem oben im Bild gezeigten Haus verlegt, sondern auf dem Gehweg davor: Zu Lebzeiten von Josef ANSELM verlief die Hindenburgstrasse etwa hier.
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