[Transkript:]
Nr. 158 Maria Klopfer, Geneva, Hotel Regina, 26.September,1944
Meine innigstgeliebte kleine Familie!
Es ist heute Erev-Yom-Kippur und wenn so ernste Feiertage sich naehern, ist noch mehr bei seiner geliebten Familie. Wie es in unserer Religion heisst, soll heute besiegelt werden, was das kommende Jahr bringen wird. Natuerlich steht, wenn wir an uns selbst denken, der sehnlichste Gedanke eines gesun-den Wiedersehens, einer Wiedervereinigung oben an und unsere ganze Hoffnung ruht auf einem baldigen Frieden.- Es ist mir sehr arg dass zur Zeit auch
von den Kindern weniger Post kommen kann, sie wussten ja doch auch immer wie es Euch ergeht und die Ereignisse bei meinen Geschwistern beschaeftigen mich nach wie vor stark. Es ist mir ganz unmoeglich mit dem lieben Aenzerl da-rueber zu sprechen, zur Zeit ist sie ja wieder so garnichts, es koennen
auch die starken Herbststuerme mit daran Schuld haben, und Feiertage brin-gen halt so manche Erinnerung. Ich bilde mir ein, dass Du, lieber Toby, auch noch immer fastest, ich tue es auch, wenn es mir auch viel schwerer faellt als meinem Mutterl. Vater wird wie immer andaechtig seine Gebete sagen, aber dazwischen verlangt sein Magen sein Recht und er wird mit gleicher Andacht seine Mahlzeiten einnehmen. Erinnerst Du Dich, lieber Toby, wie er frueher
bei Deiner leiben Mutter am Karlsplatz und spaeter im Excelsior sich ein wenig ausruhte? Du, mein liebes Ile, wirst jetzt wenn wieder alle Maenner zuhause sein werden, viel zu tun haben und der allerkleinste, suesse Mann so stelle ich es mir vor, wird Dir auf Schritt und Tritt nachlaufen und dabei Dir doch auch schon ein wenig helfen, denn er hat Dir sicher manches abge- schaut und Du wirst ihn recht selbststaendig erziehen. Opa und Erwin werden schon dann wieder ihr moeglichstes tun um ihn zu verziehen, oder ist Erwin ein strengerer Vati? Ich bekam jetzt den ersten Brief von Rudi, sie sind uebergluecklich wieder in ihr altes Heim eingezogen zu sein, wenn ihnen auch manches abhandengekommen ist. Aber die Hauptsache, alle sind gerettet, Erich und Lilo haben ein kleines Maederl bekommen, aber diese sind durch die Ent-bindung noch weiter fort, hoffen aber auch bald zu den Geschwistern zu kom-men. Ich glaube durch die amerikanischen Flugzeuge konnten sie Euch schnelle Nachricht geben, als wir hier in der Schweiz wenigstens haben sie es ver-sucht. Ich habe gestern an Rudi die Neuigkeot von den Verheiratungen mei-
ner Geschwister mitgeteilt, und ich bin auf seine Auffassung gespannt. Ich habe ueber die Feiertage aus dem Lager den Buben von Albert und Hella selig eingeladen und ich bin so gluecklich dass ich mich dazu entschlossen habe, denn das ist ein derart lieber, bescheidener, armer Bub, der sich so sehnte einmal jemanden von der Familie zu sprechen. Er ist noch nicht ganz 17 Jahre und ist entsetzlich im Leben herumgeworfen worden, hat sich aber wo immer
es ihm moeglich war, selbst erzogen und ist ein tadelloser, anstaendiger Bub. Es ist zu schade, dass er nun schon so lange im Lager und nichts rich-tig erlernen konnte, aber ich glaube wirklich etwas zu erreichen, dass er herauskommt und ein Handwerk erlernen kann. Es ist ja alles so schwer, aber es ist eigentlich unsere Pflicht wenn man Menschen die so viel mitmachten und man sie herausholen kann, zu helfen. Er wohnt natuerlich in einer ganz billigen Pension in seinem Urlaub und ich konnte es auch erreichen, dass die Bahn von seinem Lager hier herund zurueck fast nichts mich kostete. Er hat eine drei Jahre juengere Schwester und haengt mit der gleichen Bewunderung an ihr, wie unser Jost. Ich bin ganz bestimmt, dass beide Kinder eines Tages ihr Leben selbst machen, dass beide verlaessige Menschen werden, ja schon
in ihrem Charakter es sind. Ich bin wirklich froh, diesen Bub kennen ge-lernt zu haben, und es kommt mir wirklich vor als ob auf diesen zwei Kindern ein Heil ruhen wuerde um all das schwere Unglueck das so viel der Schwarz-haupt getroffen hat zu suehnen.- Ich schreibe auch noch an meine Geschwister denn sie brauchen um nach USA zu komen jetzt schon Adressen fuer das rothe Kreuz und das Konsulat, und ich halte gerade Fritz am besten da er Buerger ist und gerade unser Großvater sein Gevatter war. Bitte gebt beiliegenden Brief an meine Geschwister, ich bin sicher dass sie alle etwas fuer diese Kinder einmal tun werden und dass dies gute Fruechte bringen wird.-Der Herbst ist schon sehr unfreundlich und da denkt man doppelt an all die Menschen
die kein Heim haben und so wollen wir den jungen Kippur vor allem zu einem
Gebet zur Erloesung der armen Menschheit von den Grauen des Krieges vereinen dass auch all die Schwergeprueften endlich wieder ein Dach ueber sich haben eine scholle auf der sie das Recht haben werden ihr Heim aufzuschlagen.
-Ich mache hetzt Schluss denn ich moechte doch noch den Brief an die Geschwister schreiben. Bleibt meine lieben guten allerliebsten Menschen
gesund und auf ein baldiges Wiedersehen.
Eure
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