1865: geb. am 10. Januar, Buchau
1940: Deportation nach Gurs
1945: tot am 20. Januar, Villefranche-de-Rouerge / Frankeich |
Bodanstr. 40 Foto: W. Mikuteit |
Stolperstein für Jakob ERLANGER |
Jakob Erlanger stammte aus Buchau am Federsee in Oberschwaben. Er hatte sieben Geschwister. Seine Eltern waren Samuel Raphael Erlanger und Judith, geb. Erlanger. Jakob Erlanger war verheiratet mit Cäcilie, geb. Rosenfeld (1875-1921). Cäcilie war eine Schwester des Konstanzer Textilunternehmers Jakob Rosenfeld. Das Ehepaar hatte einen Sohn mit Namen Richard (geb. am 3.Dezember 1897 in Meersburg). Richard Erlanger war verheiratet mit einer Tochter von Jakob Rosenfeld, die ebenfalls Cäcilie hieß (gest. am 6. Juli 1931). Richard Erlanger fiel im Ersten Weltkrieg am 24.11.1917 in den Kämpfen an der italienischen Front am Monte Fontana Secca. In Buchau gab es Mitte des 19. Jahrhunderts ein blühendes jüdisches Gemeinwesen mit Synagoge (1839), Mikwe, Friedhof und Volksschule. Etwa ein Drittel der Einwohner waren Juden. Die Vorfahren von Albert Einstein, des Entdeckers der Relativitätstheorie, stammten aus Buchau. 1864 erfolgte im Königreich Württemberg durch Gesetz die völlige Gleichstellung der Juden mit den übrigen Staatsangehörigen. Bis dahin lebten die jüdischen Familien überwiegend vom Groß- und Kleinhandel mit Waren aller Art; seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bauten sie die ersten Buchauer Industriebetriebe auf, vor allem in der Textilbranche. Synagoge Buchau
Nach der Jahrhundertwende übernahmen Jakob Erlanger und sein Bruder Adolf Siegfried (1863-1924) von ihren Onkeln Jakob und Adolf Koblenzer die Mechanische Baumwollweberei in Meersburg, die rohe und gefärbte Stoffe herstellte. Diese Weberei war 1846 von Gottlieb Honegger gegründet und nach dessen Konkurs 1872 von den Brüdern Koblenzer übernommen worden. 1902 brannte die Baumwollweberei ab. 1908 nahm Jakob Erlanger die badische Staatsbürgerschaft an. Noch vor dem Ersten Weltkrieg errichteten die Erlanger-Brüder im Osten von Meersburg an der Straße nach Hagnau eine neue Produktionsstätte nach modernsten Grundsätzen. 1914 arbeiteten in der Fabrik etwa 300 Männer und 200 Frauen an 414 Webstühlen.
Die Fabrik der Erlanger-Brüder, Mitte 1950er Jahre
Sommerheater Meersburg in der "Hämmerle-Fabrik"
Nach dem Ersten Weltkrieg verschlechterte sich die Auftragslage für die Meersburger Baumwollweberei drastisch. Hinzu kam, dass der einzige Sohn von Jakob Erlanger, Richard Erlanger, 1917 an der italienischen Front den Tod gefunden hat. Auch die beiden Töchter seines Bruders und Mitinhabers Adolf Erlanger, Liese, verheiratet mit dem Arzt Dr. Martin Hagelberg aus Konstanz, und Anni, verheiratet mit Rechtsanwalt Dr. Theodor Weil aus Kreuzlingen, zeigten kein Interesse an der Fabrik. Beide Töchter überlebten übrigens den Holocaust in Palästina bzw. der Schweiz. Aus Kummer über den frühen Tod ihres Sohnes starb Jacob Erlangers Frau Cäcilie frühzeitig am 2.Juli 1921.
Ansichtskarte Meersburg (ca. 1910) |
Im Oktober 1923 musste die Fabrik in Meersburg mangels Aufträgen schließen, und am 15. Februar 1924 wurde sie laut Amtsblatt der Gemeinde Meersburg an die Augsburger Kammgarnspinnerei (Besitzer waren Raff & Söhne) verkauft. Im April 1933 wurde das Werk stillgelegt. Im Zuge der „Arisierung“ jüdischer Betriebe ging das Augsburger Werk im August 1934 schließlich an die Vorarlberger Firma F.M. Hämmerle über. Endgültig stillgelegt wurde die Fabrik dann im Jahre 1969. Die leere Fabrikhalle diente von 1985 bis 2002 dem Meersburger Sommertheater als Spielstätte. Nach dem Verkauf der Fabrik nahm Jakob Erlanger im Juni 1925 seinen Wohnsitz in Kreuzlingen, dem Schweizer Nachbarort von Konstanz. Anfang September 1935 übersiedelte er nach Konstanz und wohnte in der Robert-Wagner-Straße 48 – wie die „Laube“ nach der Umbenennung zu Ehren des NS-Statthalters von Baden, Robert Wagner, seit 1934 hieß. Dass Erlanger wenige Wochen vor Verabschiedung der Nürnberger Rassegesetze am 15. September 1935, durch die Juden zu Staatsbürgern zweiter Klasse degradiert wurden, nach Konstanz übersiedelte, wo mittlerweile die Nazis regierten, zeigt seine politische Naivität, aber auch, wie sehr sich Erlanger als Deutscher fühlte. Trotz zahlreicher diskriminierender Gesetze und Maßnahmen gegen Juden wie die Entlassung jüdischer Beamter aus dem Staatsdienst (April 1933), ein Badeverbot oder der Boykott jüdischer Geschäfte in Konstanz glaubte Erlanger offensichtlich an eine Zukunft der Juden in Deutschland. Am 31. März 1939 erfolgte der Umzug in die Saarlandstr. 40. Er wohnte bei Moritz Rothschild, dem Anfang 1940 die Emigration in die Schweiz gelang. Am 04.05.1939 erfolgte der behördlich angeordnete Umzug in die Döbelestr. 2, in ein sogenanntes "Judenhaus". Dieses Haus hatte einst (1904) Erlangers Schwager Jakob Koblenzer erbaut. Judenhäuser waren im Behörden-Deutsch Häuser, die Juden gehören und in denen nur jüdische Mieter wohnen durften. Im Juli 1939 bemühte sich Jakob Erlanger vergeblich um die Ausreise in die USA. In Vorahnung seines künftigen Schicksals, vielleicht aber auch aus Altersgründen, machte Jakob Erlanger am 12. Februar 1940 sein Testament. Darin vermachte er sein nicht unbeträchtliches Vermögen an Verwandte und Freunde, darunter auch an seine Haushälterin, die sich seit dem Tod seiner Frau 1921 rührend um ihn gekümmert hatte. Für sich selbst bestimmte er ein einfaches Grabmal aus Sandstein mit der Inschrift „Jakob Erlanger 1865 - …“ in lateinischen (deutschen) Buchstaben und ohne jüdische Symbole wie Davidstern oder Menorah (siebenarmiger Leuchter). Am 22. Oktober 1940 wurde der 75jährige Jakob Erlanger zusammen mit 108 Konstanzer Juden vom Güterbahnhof Konstanz-Petershausen nach verschleppt.
Sein Vermögen wurde vom Staat eingezogen und sein wertvolles Mobiliar, Teppiche und Ölbilder, darunter ein Bild des expressionistischen Malers Waldemar Flaig, öffentlich versteigert. Diese Versteigerung, bei der das Eigentum der nach Gurs deportierten Konstanzer Juden unter den Hammer kam, fand am 6. und 7. Januar 1941 im Konzilsgebäude statt. Eine ähnliche Aktion fand am 21. März 1941 auch in Singen statt, bei der das Eigentum der nach Gurs deportierten Juden aus Gailingen und anderen Orten auf der Höri versteigert wurde.
Im Sommer 1942 wurden die meisten der Konstanzer Juden aus dem Lager Gurs nach Auschwitz in die Gaskammern geschickt. Jakob Erlanger entging diesem Schicksal. Wahrscheinlich kam er auf Grund des sogenannten Greisenparagraphen der Vichy-Regierung vom 14. August 1942 frei. Dieser Paragraph sicherte Juden über 60 Jahren zu, nicht in die Todeslager im Osten geschickt zu werden. Wo sich Erlanger nach seiner Freilassung aus dem Lager Gurs aufhielt, ist nicht bekannt. Durch Geld- und Sachzuwendungen seines Neffen Benno Baum, dessen Mutter Babette (geb. 30. Mai 1856 in Buchau am Federsee) eine Schwester von Jakob Erlanger war, lebte er dann noch drei Jahre in ärmlichen Verhältnissen in Villefranche-de-Rouergue, wo verfolgte Juden aus vielen Ländern, besonders aus Polen, eine Zufluchtsstätte gefunden hatten. Totenschein Jakob ERLANGER vom 20.01.1945 Übersetzung: Jakob Erlanger, geb. am 10. Jan. 1865 in Buchau, Deutschland, ohne Beruf, Sohn des Ralph Erlanger und Judith Erlanger, Witwer der Rosenfeld Caecilie, Wohnort Buchau, Deutschland. Erstellt am 20. Januar 1945 um 11 Uhr, erklärt Louis Gasc, 46 Jahre, Verwalter des Zivilhospiz, vorgelesen, unterschrieben von uns, Ernest Pendaries, Stellvertreter des Bürgermeisters kraft Übertragung des Amtes
Am 20.1.1945 starb Jakob Erlanger mit über 80 Jahren an Altersschwäche im städtischen Krankenhaus von Villefranche-de-Rouergue.
Städtisches Krankenhaus Villefranche-de-Rouerge, ca. 1910
Nachsatz: Villefranche-de-Rouergue ist in die Geschichte des Widerstandes gegen die Nazis eingegangen, weil sich hier am 17. September 1943 das mehrheitlich aus zwangsrekrutierten Bosniaken und Kroaten bestehende 13. Pionierbataillon der 13. SS-Waffen-Gebirgs-Division gegen die deutsche Kommandantur erhoben hatte. Nachdem sie die deutschen Offiziere getötet hatten, übernahmen sie für einen Tag die Kontrolle über die Stadt.
Recherche: Uwe Brügmann Patenschaft: Dorothee Schmidt |
Quellen und Literatur: Stadtarchiv Konstanz, Akte S II 34/19 Staatsarchiv Freiburg, Akten F 196/1, 318, F 196/3, 4961, P 303/4, 689, F 166/3, 3605 Stadtarchiv Buchau Toury, Jacob, Jüdische Textilunternehmer in Baden-Württemberg 1683-1938. Tübingen: Mohr, 1984, S.97-98 |