Please enable JavaScript to view this site.

Stolpersteine Konstanz

Navigation: Steine nach Strassen

Erwin JUNG, 1883 - 1943

Themen Zurück Top Vor Menü

1883: geb. in Konstanz

 

deportiert 1942, Theresienstadt

 

Ermordet 23.1.1943
Auschwitz

Bild grösser: anklicken

Obere Laube 44
heute (April 2017)

 
Foto: © Wolfram  Mikuteit

Bild grösser: anklicken

Stolperstein für Erwin JUNG
verlegt am 03.05.2017

 

Bild grösser: anklicken

Erwin JUNG
mit Ehefrau Maria

Quelle: Stadtarchiv Wangen

 

Erwin Jakob Jung wurde am 15.04.1883 in Konstanz geboren. Seine Eltern waren Leopold Jung aus Gailingen (1848 – 1920) und Johanna Jung, geb. Veit, ebenfalls aus Gailingen   (1861 – 1926). Leopold Jung war der erste jüdische Rechtsanwalt in Konstanz.

Erwin Jung hatte zwei Brüder: Fritz, geb. 22.6.1884 in Konstanz (verh. mit Erna, geb. Spiegel) und Walter Theobald, geb. 1.8.1892 in Konstanz (verh. mit Edith, geb. Weill).

Erwin Jung besuchte die Volksschule und wechselte 1892 auf das Suso-Gymnasium in Konstanz. Ohne Abitur verliess er 1897 das Gymnasium und begann eine Ausbildung zum Textilkaufmann, aller Wahr­schein­lich­keit nach in Basel und Weinheim an der Bergstraße. In beiden Städten gab es zahlreiche jüdische Textil­geschäfte. Nachgewiesen ist, dass er am 14.8.1912 aus Basel nach Weinheim kam und dort bis zum 15.4.1914 polizeilich gemeldet war.

 

 

Obwohl er noch in Weinheim gemeldet war, heiratete Erwin Jung am 15. April 1914 in Konstanz. Seine Frau Maria (Mina), geb. Stern, stammte aus Wangen im Allgäu, wo ihre Eltern Sigmund und Fanny Stern ein Konfektionsgeschäft mit Filiale besaßen. Die Familie Stern war die älteste jüdische Familie in Wangen; Sigmund Stern wurde als erster jüdischer Bürger 1891 im Gewerbesteuerkataster erwähnt. Nach der Hochzeit zog das junge Paar 1915 nach Wangen, um das Geschäft der Brauteltern weiter zu führen.

In Wangen gab es in den 1930er Jahren nur wenige Juden. Die Juden kannten sich zwar untereinander, doch gab es in der Stadt kein jüdisches gesellschaft­liches Leben und auch keine Synagoge. In den Jahren 1933 bis 1938 verschärften die Nazis in Wangen ihre Propaganda gegen Juden. Im „Stürmer-Kas­ten“ (öffentliche Aushängung des antisemitischen Hetz­­blatts „Der Stürmer“ in einem Schaukasten) wurde gegen Juden in übelster Weise gehetzt, Schilder warnten Bürger vor dem Kauf in jüdischen Geschäften, taten sie es dennoch, wurden sie beob­achtet und fotografiert und auf das Rathaus zitiert.

Wohl wegen dieser aufgeheizten antisemitischen Stimmung in Wangen verkaufte das Ehepaar Jung 1938 sein Geschäft und übersiedelte im Juni 1938 nach Konstanz.

In Konstanz lebten Mitte des Jahres 1938 neben vielen einheimischen Juden auch mehrere hundert jüdische Flüchtlinge aus Österreich, die in die Schweiz wollten. Trotzdem oder gerade deswegen schienen sich die Eheleute Jung wahrscheinlich in Konstanz sicherer zu fühlen. Auch konnten sie den Eindruck haben, dass es in Konstanz  noch jüdisches Leben gab.

 

 

Das Ehepaar Jung bezog eine komfortable Wohnung in der Robert-Wagner-Straße 44 - wie die Obere Laube seit 1933 hieß. Aber schon ein paar Monate später, am 16. Februar 1939, musste das Ehepaar die Wohnung wieder aufgeben und in die Schweden­schanze 3, in ein sogenanntes Judenhaus, ziehen. Judenhäuser waren im Behördendeutsch Häuser, die Juden gehörten und in denen nur Juden wohnen durften, nachdem sie aus ihren frei gewählten Wohnungen herausgekündigt worden waren.

Erwin Jung hatte die Absicht, mit seiner Frau nach Sao Paulo zu emigrieren. Sein Bruder Philipp Fritz, Mitglied des Synagogenrates und Rechtsanwalt in Konstanz, war mit seiner Frau Erna, geb. Spiegel, und ihren beiden Kindern Elsbet und Sybil  bereits im Februar 1934 nach Sao Paulo ausgewandert. Auch sein Bruder Walter Theobald war schon in den 30er Jahren nach Südamerika ausgewandert, wahrschein­lich nach La Paz.

Wegen der Krankheit seiner Frau verschob Erwin Jung jedoch immer wieder die Auswanderung. Als seine Frau dann am 14.09.1941 starb, war es zu spät für die Auswanderung. Das Grab seiner Frau, Maria Jung, befindet sich auf dem jüdischen Friedhof in Konstanz.

 

Zehn Tage nach dem Tod seiner Frau musste Erwin Jung seine Wohnung in der Schwedenschanze verlassen und in das jüdische Gemeindehaus in der Sigismundstraße 21 umziehen.

Warum das Ehepaar Jung  nicht wie die anderen 108 Konstanzer Juden am 22. Oktober 1940 nach Gurs deportiert wurde, ist unklar. Vielleicht war es die Krankheit seiner Frau. Ebenso unklar ist, warum Erwin Jung nicht zu den sieben Konstanzer Juden gehörte, die am 24. April 1942 in das Ghetto von Izbica/Polen deportiert wurden. Am 21. August 1942 wurde Erwin Jung schließlich doch abgeholt. Mit dem Zug wurde er in einem Einzeltransport nach Stuttgart gebracht, wo sich auf dem Killesberg das Sammellager für den Transport der Juden in das (tschechisch Terezín) befand.

 

Bild grösser: anklicken

Grab von Erwin JUNGs Frau Mina (Maria)
auf dem Friedhof Konstanz
Quelle: privat

 

Am 23. August verließ der Transport mit der Bezeichnung XIII/1 Stuttgart. Der Transport umfasste 1078 ältere Juden aus 58 Orten in Württemberg, Baden und Hohenzollern. Erwin Jung war der einzige Jude aus Konstanz. Nach ihrer Ankunft auf dem Endbahnhof Bohousovice mussten die Juden den ca. 3 km langen Weg nach Theresienstadt zu Fuß zurücklegen; die Schwerkranken wurden auf Lastwagen ins Lager gefahren.

 

Bild grösser: anklicken

Erwin JUNG  wird am 22. August 1942
als "Nr. 59" nach Theresienstadt verschleppt.

Auszug aus der Deportationsliste:
Man beachte das zynische "Liste der ... abgewanderten Juden"
Quelle: Hauptstaatsarchiv Stuttgart

 

 

Auf der Wannsee-Konferenz am 20. Januar 1942 wurde die ehemalige k.u.k. Garnisonsstadt Theresien­stadt als „Altersghetto“ für prominente und alte Juden aus Europa bestimmt. Die Gesamtzahl der Männer, Frauen und Kinder, die in Theresienstadt bis Mai 1945 interniert waren, betrug etwa 141.000, darunter 70.000 alte Menschen und 15.000 Kinder.

Ein Viertel der Gefangenen des Ghettos Theresien­stadt starb wegen der katastrophalen Lebensum­stände. Etwa 88.000 Häftlinge wurden in die Vernichtungslager Ausch­witz, Sobibor, Treblinka oder Majdanek deportiert; nur etwa  17.000 Menschen erlebten die Befreiung des Lagers durch sowjetische Truppen am 8. Mai 1945 .

 

 

Über das Leben von Erwin Jung im Ghetto There­sien­stadt gibt es keine Belege. Fest steht, dass er am 23. Januar 1943, zusammen mit 2012 anderen Juden  von Theresienstadt in das KZ deportiert wurde. Da Erwin Jung wegen seines fortgeschrittenen Alters nicht arbeitsfähig schien, wurde er von der Rampe direkt in die Gaskammer gebracht und ermordet.

Von den 2012 Juden des Transports überlebten nur  fünf. Historiker des Bundesarchivs Koblenz haben seinen Todestag auf den 23. Januar 1943 gelegt.

 

 

Mindestens 10 Mitglieder der Familie Jung wurden in Konzentrationslagern ermordet.

 

 

Erwin Jakob Jung wurde am 31.12.1945 vom Standes­amt Konstanz offiziell für tot erklärt.

 

Recherche: Uwe Brügmann

Patenschaft: Manuel Boxler

Quellen:

Alfred Gottwaldt und Diana Schulle, Die „Judendeportationen“ aus dem deutschen Reich 1941-1945, Göttingen: Marix Verlag, 2005

Gedenkbuch. Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945. Koblenz: Bundesarchiv, 2006

Staatsarchiv Freiburg, Akten F 166/3, Nr. 2762,  P 303/4, Nr. 288

Stadtarchiv Konstanz

Stadtarchiv Wangen im Allgäu

Stadtarchiv Weinheim an der Bergstraße

Liste der Deportierten von Stuttgart nach Theresienstadt am 22.8.1942,  im Hauptstaatsarchiv Stuttgart,  EA99/001, Bü258

Locher-Dodge, Birgit, Verdrängte Jahre? Wangen im Allgäu 1933-1945. Hrsg. vom Altstadt- und Museumsverein Wangen im Allgäu. 1999