EINGEWIESEN 1933 HEILANSTALT REICHENAU "VERLEGT" 14.8.1940 GRAFENECK ERMORDET 14.8.1940 „AKTION T4“ |
Schneckenburgstr. 27 |
Stolperstein für Anna GEISER |
Anna GEISER Quelle: Privatarchiv Didra/Frey
Anna GEISER, geb. Kessler, wurde am 7.10.1890 in Konstanz/Allmannsdorf geboren und katholisch getauft. Einen Beruf erlernte sie nicht. Im Jahr 1915 heiratete sie den verwitweten Ziegeleifacharbeiter Anton Geiser, dessen Frau bei der Geburt des fünften Kindes, ihres Sohns Johann, am 26.8.1913 verstarb. Der Säugling überlebte seine Mutter nur knappe 3 Wochen. Anna Geiser zog zu ihrem Mann und Kindern aus erster Ehe in die Schneckenburgstr. 27. Weitere drei Kinder kamen in den Jahren 1918, 1920 und 1926 zur Welt. Bereits im Jahr 1920 war die 30-jährige Frau für 4 Wochen Patientin der Heil- und Pflegeanstalt Reichenau. Im Jahr 1929 folgte ein halbjähriger Aufenthalt, und im Jahr 1930 wurde sie 3 Monate stationär behandelt. Ab dem 23.5.1933 verblieb sie bis zu ihrer Ermordung am 14.8.1940 auf der Reichenau. Die Diagnose lautete „manisch-depressives Irresein, resp. Schizophrenie“. Sie arbeitete u.a. in der Anstaltsküche und erhielt regelmässig Besuch ihres Mannes und der Kinder.
Am 1.1.1934, ein Jahr nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten, trat das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ in Kraft. Darauf basierend wurde am 27.10.1934 Herr Geiser vom Erbgesundheitsgericht Konstanz informiert, dass die Unfruchtbarmachung seiner Frau Anna beantragt wurde. Beisitzer dieses Gerichts war der Leiter des Gesundheitsamtes Konstanz Dr. Rechberg. Der Antrag wurde jahrelang wiederholt, da die Heil- und Pflegeanstalt Reichenau dies aus gesundheitlichen Gründen immer wieder ablehnte. In einem Schreiben vom 24.12.1938 (Heiligabend !) wurde der Vollzug ausgesetzt und die Entscheidung darüber der Reichenau überlassen. Die Sterilisation wurde nie vollzogen.
Im Jahr 1940 wurden 508 Patienten der Heil-und Pflegeanstalt Reichenau im Verlauf der Aktion-T4 in der Gaskammer der Tötungsanstalt Grafeneck ermordet. Darunter befand sich auch die mittlerweile 49-jährige Anna Geiser. Sie wurde am 14. August 1940 zusammen mit weiteren 65 Patienten (Männern und Frauen) von der Reichenau abgeholt und am selben Tag in Grafeneck vergast und eingeäschert.
Das Ziel der nationalsozialistischen Ideologie war damit erreicht: Die Vernichtung von „unwertem Leben“. Nun folgte die Phase des Verschleierns und Vertuschens. Knappe 10 Tage nach der Ermordung erhielt ihr Ehemann Anton ein Schreiben von der „Landespflegeanstalt Grafeneck“ mit dem Betreff „Verlegung von Kranken“. Darin hiess es, dass seine Ehefrau vorübergehend eingewiesen worden sei, aber in den nächsten Tagen weiterverlegt würde: "Aus diesem Grund wird gebeten von Besuchen, weiteren Anfragen, sowie der Sendung von Paketen Abstand zu nehmen. Sobald unser Pflegling in der neuen Anstalt angekommen ist, werden Sie von dort unterrichtet."
Tötungsanstalt Grafeneck, 23.08.1940: Quelle: Staatsarchiv Freiburg B 898/1 723
Zwei Wochen danach erhielt Herr Geiser erneut Post. Diesmal von der Landesanstalt Hartheim in Österreich. In dem Bief wurde mitgeteilt, dass Anna Geiser am 8.9.1940 unerwartet an einer Gallenblasen- und Bauchfellentzündung verstorben sei.
9.9.1940: Spurenbeseitigung |
Ihr Ehemann, Anton Geiser, forderte die Urne an und liess sie auf dem Konstanzer Friedhof im Grab ihres Vaters Ludwig Kessler bestatten. Mit Sicherheit befanden sich in der Urne jedoch nicht die sterblichen Überreste seiner Frau, sondern Aschereste der Menschen, die zusammen mit Anna Geiser in der Gaskammer grausam starben.
19.09.1940, Spurenbeseitigung: Quelle: Staatsarchiv Freiburg B 898/1 723
Auch Todestag, Todesursache und Todesort waren frei erfunden, Teil eines perfiden Systems, welches Nachforschungen von Angehörigen erschweren, bzw. unmöglich machen sollte. Zur Verschleierung trugen auch die Kriegswirren bei.
Annas zweitgeborener Sohn starb am 17.10.1944.
Noch Jahre nach der Ermordung beschäftigten sich die Behörden mit der Akte Geiser und der Frage, ob die 1934 angeordnete Unfruchtbarmachung noch durchgeführt werden könne. Am 6.9.1940, also 3 Wochen nach der Ermordung, stellte das Gesundheitsamt Konstanz fest, dass lt. Auskunft der Heil- und Pflegeanstalt Reichenau, Frau Geiser in eine andere Anstalt verlegt worden sei und weiter: „Die Voraussetzungen zur Aussetzung des operativen Eingriffs waren bei Frau G. zur Zeit der Verlegung immer noch gegeben“.
Mit Schreiben vom 11.3.1941 wiederholte die Anstalt Reichenau diesen angeblichen Tatbestand.
Deshalb fragte das Erbgesundheitsgericht Konstanz am 5.1.1942 in der Anstalt Emmendingen nach und erkundigte sich, ob die Unfruchtbarmachung jetzt noch möglich sei. Emmendingen antwortete am 2.2.1942 lapidar: „Die Patientin wurde am 14.8.1940 in eine unbekannte Reichsanstalt verlegt. Es dürfte sich damit Ihre Anfrage erledigen.“
Darauf stellte Amtsarzt Dr. Rechberg am 14.2.1942 fest : „Da die Obengenannte nach Mitteilung der Heil-und Pflegeanstalt Emmendingen in eine unbekannte Reichsanstalt verlegt wurde, dürfte das Verfahren als erledigt betrachtet werden“.
Damit wurde die Akte Geiser geschlossen und beendet. Nicht beendet war die Karriere von Dr. Rechberg. Zwar wurde er nach Kriegsende verhaftet und inhaftiert, dennoch wurde er 1953 zum Leiter der ehemaligen Heil-und Pflegeanstalt Reichenau, die jetzt PLK Reichenau hiess, ernannt. In dieser Funktion wurde er als Gutachter bei Wiedergutmachungsfragen tätig und untersuchte die gleichen Opfer, die er als Nazi-Arzt sterlisieren liess. Entschädigungen lehnte er ab.
Einen Fürsprecher für die Leitungsstelle des PLK fand er im amtierenden Oberbürgermeister Knapp, nach dem noch im Jahr 2022 eine Passage in Konstanz benannt ist. Nur ein Beispiel, wie Naziseilschaften im Adenauer-Deutschland agierten.
Während man sich an Menschen wie Knapp und Rechberg nur mit Abscheu und Verachtung erinnern kann, holt dieser Stolperstein Anna Geiser aus der Vergessenheit und erinnert in Zukunft an ihr Schicksal.
gefälschter Sterbebucheintrag Anna GEISER: Quelle: Staatsarchiv Freiburg B 898/1 723
gefälschter Sterbebucheintrag Anna GEISER: Am 8. September 1940 "in der Wohnung verstorben" (!)
Recherche: Roland Didra Patenschaft: Manfred Frey |
Quellen: Staatsarchiv Freiburg B 898/1 723 Stadtarchiv Konstanz Einwohnermeldekarte Privatarchiv Didra / Frey |