Worte an dieTeilnehmer bei der Stolpersteinverlegung für
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Sehr geehrte Familienangehörige der verfolgten Eheleute Anna und Berthold Wieler, der heutige Morgen und gerade diese Minuten sind für mich so bewegend und bedeutend, dass ich als Vertreter der Hausgemeinschaft Schützenstraße 30 und als Bewohner der damaligen Wohnung der Eheleute Wieler einige Worte an Sie alle richten möchte. Wenige Jahre nach der Errichtung dieses Hauses zogen die Eheleute Anna und Berthold Wieler ein. Schon 1908 zogen, aus Schonach kommend, meine Großeltern Augustin und Karolina Fehrenbach mit ihren beiden Mädchen Anna (4) und Augustina (3) in das Dachgeschoss des daneben liegende Hauses Schützenstraße 28 ein. Meine Mutter Anna, verheiratete Müller, erzählte mir oft von den freundlichen und zuvorkommenden Nachbarn Wieler. Und davon, dass meine Großmutter Karolina bei der Familie Wieler als gelegentliche Haushaltshilfe tätig war. Dabei hielt sich meine Mutter als Kind auch ab und zu in der Wohnung Wielers auf. Ein Foto bezeugt diese Anwesenheit: Die Mädchen Anna und Augustina, genannt Gustel, wurden auf der Küchenveranda dieser Wohnung fotografiert.
Die Familie Wieler mit Tochter Erika und mehrere andere jüdischen Familien wohnten in dieser Straße, waren bürgerschaftlich voll integriert und zweifellos anerkannt als ehrenwerte Mitbürgerinnen und Mitbürger. |
Meine Mutter berichtete mir auch von den grauenvollen Geschehnissen im Jahr 1940, als die Gestapo mit Lastwagen vorfuhr und die jüdischen Bewohner, alte, junge, samt kleinster Kinder auf den Lastwagen verfrachtete – so geschehen am helllichten Tag im Oktober 1940 aus dem Haus Schützenstraße 16. Der Junge Herbert H. aus dem Hause Schützenstraße 24, dort wohnten inzwischen meine Eltern, stieg aus Sympathie zu seinem schon im LKW sitzenden Mitschüler mit auf den Lastwagen und konnte in letzter Minute von seiner Mutter wieder heruntergeholt werden. Ich selbst bin im Jahre 1941 geboren und habe all diese politischen Folgen der NS-Diktatur samt deren unverblümten Verfolgungen und Vernichtungszügen nicht bewusst miterlebt. Die Zeitzeugen sterben aus. Umso mehr ist es der heutigen und den kommenden Generationen aufgetragen, für Menschenrechte, Freiheit und Frieden aktiv zu kämpfen: Aber die heutigen politischen rechtsradikalen Entwicklungen und damit die Hetze gegen Flüchtlinge und Muslime in vielen europäischen Ländern, gerade aber auch in Deutschland, machen uns nicht nur besorgt, sondern hellwach: Alle unsere gewissenhaften Aufarbeitungen und Aufklärungen in unseren Schulen in 7 Jahrzehnten nach der Nazi-Zeit reichen nicht mehr aus! Wir alle müssen die freiheitlich-demokratischen Werte unseres Grundgesetzes, voran die Menschenrechte, vereint verteidigen. Wehret den verführerischen Parolen und verharmlosenden Angriffen auf unsere Grundwerte. Als Symbol unserer Verbundenheit mit den verfolgten und deportierten Eheleuten Anna und Berthold Wieler hat unsere Hausgemeinschaft Schützenstraße 30 die Patenschaft für die beiden Stolpersteine gerne übernommen. Allen Angehörigen der Familie Wieler sprechen wir unseren herzlichen Dank für Ihr Kommen aus. Sie sind uns hier jederzeit herzlich willkommen.
Wolfgang Müller-Fehrenbach |